«Junge Erwachsene haben besonders viel Potenzial zu CO2-Einsparungen»

Obwohl wir es besser wüssten, sind wir noch zu wenig nachhaltig unterwegs. Umweltpsychologin Cathérine Hartmann erklärt, warum ein stärkeres Umweltbewusstsein nicht automatisch mit einem klimafreundlichen Verhalten einhergeht – und warum die Mobilität ein anspruchsvolles Feld für Verhaltensänderungen ist.

Text   Daniel Schriber

30.04.2024

  • Nachhaltigkeit

CathĂ©rine Hartmann, kommen wir gleich zum Punkt: Wer ist in der Schweiz nachhaltig unterwegs, wer nicht? 

CathĂ©rine Hartmann: Obwohl wir ein gut ausgebautes Ă–V-Netz haben und viele Personen umweltfreundlich unterwegs sind, besteht in Bezug zur Nachhaltigkeit ĂĽber die ganze Gesellschaft hinweg grosser Handlungsbedarf. 


Was heisst das konkret? 

Grundsätzlich ĂĽberschätzen alle Altersgruppen ihr klimafreundliches Verhalten, was die Sotomo-Studie 2024 bestätigt. Ganz besonders viel Potenzial zu CO2-Einsparungen in der Mobilität haben gemäss Studie die jungen Erwachsenen – und dort vor allem jene mit hohem Einkommen. Diese Gruppe ist zum Beispiel häufig mit dem Flugzeug unterwegs. 


Gerade die jĂĽngeren, gut ausgebildeten Leute mĂĽssten es besser wissen. 

Die Wissenschaft spricht bei diesem Phänomen von der sogenannten Â«attitude-behaviour gap». Das bedeutet nichts anderes, als dass unsere Einstellungen und Absichten oftmals mit unserem Verhalten kollidieren. 


Weshalb?

Dafür gibt es viele mögliche Gründe. Die Bequemlichkeit ist ein wichtiger Aspekt, aber auch die gedankliche Beschränkung auf das Hier und Jetzt ist ein wichtiger Faktor. Zudem gibt es eine Art Verdrängungsmuster: Wer einen anspruchsvollen Job hat, hat das Gefühl, dass er sich dafür die Flugreise gönnen darf. Zudem vergleichen wir uns oft mit andern: Warum soll ich nicht nach Thailand fliegen dürfen, wenn es der Nachbar zweimal pro Jahr tut? Man sucht sich die passenden Rechtfertigungsstrategien, um mit gutem Gewissen durchs Leben zu kommen.


Wie steht es um den Unterschied zwischen Stadt und Land? 

Auf dem Land wird durch die Autonutzung durchschnittlich mehr CO2 pro Jahr und Person ausgestossen als in den Städten. Das hat natürlich damit zu tun, dass die ländlichen Gegenden nach wie vor schlechter mit dem ÖV erschlossen sind als die Städte. Das Mobilitätsverhalten ist stark strukturdeterminiert (eine festgelegte Struktur, Anm. der Red) und von den Bedürfnissen und Gewohnheiten der Personen abhängig.


Wie lässt sich ein solches Verhalten verändern?

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – und neue Gewohnheiten zu finden verlangt viel Zeit, Geduld und Spucke. 


Was also ist zu tun? 

Lebensphasen mit grossen Umbrüchen bieten eine ideale Ausgangslage für Verhaltensänderungen. Das kann bei einem Umzug, einem Jobwechsel oder der Geburt des Kindes der Fall sein. Zudem werden wir zu Gewohnheitsänderungen ermutigt, wenn wir positive Erfahrungen machen und diese mit anderen teilen.


«Gemeinsam sind wir stark» als Motto fĂĽr eine nachhaltigere Welt? 

Genau. Die Klimabewegung ist ein ideales Beispiel dafĂĽr, wohin diese Gruppenwirksamkeit fĂĽhren kann. Im Kollektiv besteht eine soziale Kontrolle, sich an Verpflichtungen zu halten. Die Selbstwirksamkeit in der Gruppe stärkt das GefĂĽhl, etwas tatsächlich erreichen zu können. 


«Wer teilt, hat mehr» – so der Slogan von Mobility. Reicht das als Anreiz, um noch mehr Menschen zum Carsharing zu bringen?  

Eine schöne Aussage, die zutrifft. Dennoch sollte deutlich gemacht werden, was das «mehr» sein kann: mehr Platz in der Stadt, mehr Geld auf dem Konto, mehr gesunde Wälder und frische Luft zum Beispiel. Wichtig scheint mir, dass Carsharing und andere nachhaltige Mobilitätsarten in Zukunft noch attraktiver werden, damit wir das «mehr» auch spüren.


Wie kann das gelingen? 

Der Umweltaspekt ist schön und gut, aber Themen wie Bequemlichkeit und Komfort, die Kosten und das GemeinschaftsgefĂĽhl sind fĂĽr die einzelnen Nutzenden mindestens so wichtige Motivatoren. 


Täuscht der Eindruck, oder sind Verhaltensänderungen in der Mobilität besonders anspruchsvoll?

Ja, die Mobilität ist echt tricky. Im Gegensatz zu anderen Bereichen – zum Beispiel der Ernährung – scheint es in diesem Bereich viel schwieriger zu sein, gewohnte Verhaltensmuster langfristig zu durchbrechen. Gleichzeitig gibt es Entwicklungen, die durchaus Mut machen und uns zuversichtlich stimmen lassen. 


Nämlich? 

Ich denke an die kommenden Generationen, die vieles hinterfragen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Umweltthemen heute frĂĽher und stärker in der Schule thematisiert werden. Das deutet darauf hin, dass sich in den kommenden Jahren eine andere Art von Mobilitäts-Routine entwickeln könnte. DafĂĽr braucht es natĂĽrlich die nötigen politischen und technischen Rahmenbedingungen. 


Das Mobility-Netz umfasst das ganze Land. Reichen diese Rahmenbedingungen nicht, um noch mehr Menschen fĂĽr Carsharing zu motivieren?

Carsharing bedeutet, etwas mit anderen zu teilen. In Bezug auf das Auto ist das fĂĽr viele ein neuer, ungewohnter Gedanke. Das hat verschiedene GrĂĽnde: Erstens gilt das Auto als Statussymbol, zweitens ist das Auto fĂĽr viele eine Art «Zuhause» auf vier Rädern – das darf man nicht unterschätzen. 


Wie meinen Sie das?

Egal ob Sitz, RĂĽckspiegel oder Musikanlage: Wir richten uns das Auto genauso ein, wie es fĂĽr uns passt. Wenn wir ein Mobility-Auto ausleihen, ist es immer ein bisschen so, als hätte jemand unseren Sitz umgestellt und an der Musikanlage herumgedreht. Deshalb gibt niemand gerne sein eigenes Auto her. Umso wertvoller wäre es, wenn wir den Carsharing-Autos einen individuellen Touch verleihen könnten. 


Wie soll das funktionieren?

Ich bin Umweltpsychologin, keine Auto- oder Softwaredesignerin. Aber: Der technologische Fortschritt macht eine gewisse Personifizierung heute schon möglich. Wenn in Zukunft noch mehr smarte (Elektro-) Autos auf den Strassen unterwegs sind, sollte das noch häufiger der Fall sein. Wenn dieser Komfort steigt und mit den weiteren positiven Faktoren des Carsharings kombiniert wird, könnte diese Art der nachhaltigen Mobilität weiter wachsen.

Wer teilt, hat mehr - aber wovon genau? Das wollten wir anlässlich der 27. Delegiertenversammlung der Mobility Genossenschaft von den Anwesenden wissen.

Erfahre in unserem RĂĽckblick, worĂĽber an der 27. DV gesprochen wurde.

Fotos: Patrick Besch

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