Elektromobilität: Heilsbringerin oder Hype?

Elektroautos haben grosse ökologische Vorzüge und sind daher in aller Munde. Doch ist alles Gold, was glänzt? Welche Chancen hat diese Technologie? Und wo liegen ihre Vor- und Nachteile?

03.09.2020

  • Nachhaltigkeit

  • Zukunft

Rate mal, welchen Anteil der Verkehr am schweizweiten CO2-Ausstoss hat? 40%. Da ist es nur logisch, dass die Klimaschutzdebatte auch die Mobilität einschliesst: In der Schweiz und der EU gilt ab 2020 ein verschärftes Klimaziel, wonach Neuwagen pro Kilometer höchstens 95 Gramm CO2 ausstossen sollen – ein grosser Unterschied zu heute, wo noch 35 Gramm mehr erlaubt sind. Zeit also, zu handeln und innovative Lösungen zu suchen. Elektromobilität scheint hier ein vielversprechender Weg.

Ă„lter als Benziner

Heute wird Elektromobilität als moderne Idee abgefeiert. Dabei reichen ihre Wurzeln weit zurück: Bereits in den 1830er Jahren wurden quer durch Europa und Amerika Elektrogefährte konzipiert – Dreiräder, Kutschen, Schienenfahrzeuge und gegen Ende des Jahrhunderts schlussendlich Autos. Den Grundstein hierfür legte der englische Naturforscher Michael Faraday, der entdeckt hatte, dass sich dank Elektromagnetismus eine kontinuierliche Drehung erzeugen lässt. Somit ist die E-Mobilität älter als der Verbrennungsmotor.

Vom RohstoffĂĽberfluss zum Umweltgedanken

Die BlĂĽtezeit der Elektromobilität endete, nachdem der amerikanische Ingenieur Charles F. Kettering 1911 den elektrischen Anlasser fĂĽr Verbrennungsmotoren erfand. Zudem war die Reichweite der Benziner grösser sowie Ă–l gĂĽnstig und in rauen Mengen zu haben. Mit der einsetzenden Fliessbandproduktion von fossilbetriebenen Autos kam die Produktion von E-Autos in den 1920ern deshalb fast vollständig zum Erliegen. Erst die Ă–lkrise der Neunziger und das stetig wachsende Umweltbewusstsein brachten die Elektromobilität wieder zurĂĽck aufs Tapet. Das ZĂĽnglein an der Waage fĂĽr den derzeitigen tiefgreifenden Umschwung in der Autoindustrie dĂĽrfte jedoch nicht der nachhaltige Faktor sein, sondern der monetäre: Stossen Neuwagen in Zukunft nämlich mehr als die erwähnten 95 Gramm CO2 pro Kilometer aus, fallen Strafen an. Allein fĂĽr nächstes Jahr rechnet der Branchenverband Auto-Schweiz mit Bussen von bis zu 300 Millionen Franken.

Ein wachsender Markt

Inzwischen haben fast alle namhaften Hersteller angekündigt, ihren Fokus stärker auf Elektro- oder Hybridautos zu legen. Derzeit fahren rund 1,3 Millionen Elektroautos auf den Strassen dieser Welt. Der grösste und am schnellsten wachsenden Markt ist China, wo nicht nur die meisten Elektroautos hergestellt, sondern auch verkauft werden. Ganz an der Spitze mischt auch Norwegen mit: Vor allem wegen steuerlicher Vorteile waren sieben von zehn Neuzulassungen im ersten Halbjahr 2019 Elektrofahrzeuge oder Hybride. Ab 2025 wollen die Nordländer neue Benzin- und Dieselautos sogar ganz verbieten. Weitere bedeutende Märkte für Elektromobile sind die USA, Deutschland und Frankreich. Die Schweiz hinkt solchen Zahlen hinterher: Zwar wurden im ersten Halbjahr knapp 6’000 E-Fahrzeuge angemeldet (und somit ein Vielfaches der Vorjahre), allerdings beläuft sich der Gesamtmarktanteil damit auf bloss 3,8%.

« Die Angst vor zu wenig Reichweite ist unbegrĂĽndet. »
Andrea Vezzini, Professor fĂĽr Industrieelektronik an der Hochschule Bern

Viele Vorteile

Nebst null Kohlenstoffdioxid-Ausstoss hat Elektromobilität viele weitere positive Facetten. Erstens entfallen Gestank und Lärmemissionen, was die allgemeine Lebensqualität fördert, gerade in Städten. Zweitens ist Strom um einiges günstiger als Benzin oder Diesel. Bei Bergabfahrten wird durch Rekuperation sogar neue Energie erzeugt. Und drittens benötigen die Motoren kaum Wartung, weil Verschleissteile wie Zahn- oder Keilriemen fehlen.

Was heisst «nachhaltig»?

Jedoch sind manche dieser Parameter einen zweiten, wachsamen Blick wert. So heisst ein emissionsfreier Betrieb nicht, dass er auch tatsächlich nachhaltig ist. Dies hängt nämlich stark von der Produktionsweise des Stroms ab (z.B. Kohle vs. Wasserkraft), mit dem das Auto hergestellt und geladen wird. In punkto Entsorgung der Akkus geht der technologische Fortschritt hingegen rasch voran, wie Elektroforscher Andrea Vezzini von der Hochschule Bern bestätigt: «Heute sind 92% der Batterie rezyklierbar. Die Technologie ist da. Nur baut heute niemand eine Rezyklieranlage, weil noch alle Batterien in den Autos sind.» Kritischer bleiben für die Herstellung notwendige Rohstoffe wie Kupfer, Nickel, Aluminium, Kobalt oder Mangan, die oft nicht nachhaltig und teilweise unter fragwürdigen Bedingungen abgebaut werden. Es liegt an den Herstellern, hier für Besserung zu sorgen.

Die Sache mit der Reichweite

Im Alltag haben Schweizerinnen und Schweizer oft noch Berührungsängste mit Elektromobilität: Die gängigsten Vorbehalte betreffen die Reichweite der Fahrzeuge sowie das mangelnd ausgebaute Netz an Ladestationen. Klar, niemand möchte mit leerer Batterie im Niemandsland stranden. Allerdings ist diese Angst unbegründet: Die neuen Modelle trumpfen laut Herstellern mit Reichweiten von bis zu 600 Kilometern auf. «In der Realität kann man von diesem Wert noch ein Fünftel abziehen, je nach Fahrverhalten und Streckenverlauf», weiss der Mobility-Flottenverantwortliche Viktor Wyler. Damit sei Reichweite kein Thema mehr. «Vor allem nicht in der Schweiz, wo nur selten Strecken von mehreren hundert Kilometern zurückgelegt werden», weiss Wyler. Was die Ladeinfrastruktur betrifft, hat unser Land sicherlich noch viel Arbeit vor sich. Doch auch hier gibt es gute Neuigkeiten, wie Elektro-Experte Vezzini verrät: Der Bund wolle in grossem Stil Schnellladestationen entlang von Rastplätzen aufstellen. «Diese sind bis in zwei Jahren gebaut und in der Lage, innerhalb von 20 Minuten Energie für etwa 100 bis 150 Kilometer aufzuladen.»

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