
Ein Problem wird zur Lösung – mit V2X
Eins ist klar: Wir müssen nachhaltiger leben. Und zwar alle. Wenn wir die Erderwärmung so gering wie möglich halten wollen. Darum setzen wir zu 100% auf E-Mobilität. Bis spätestens 2030 werden all unsere rund 3'000 Fahrzeuge elektrisch sein. Die zunehmende E-Mobilität ist zwar ein positiver Trend, verstärkt aber ebenso den Energiebedarf und wird Herausforderungen in der Netzstabilität mit sich führen. Schon in den nächsten Jahren könnten Blackouts absehbar sein, insbesondere in den Wintermonaten. Das neu lancierte Projekt «V2X Suisse» will mit vereinten Kräften für Lösungen sorgen.
Autos mit richtig Power
Die grundlegende Idee beim bidirektionalen Laden besteht darin, dass Elektroautos nicht nur Strom verbrauchen, sondern auch Strom ins Netz zurückspeisen können, wenn sie gerade nicht gefahren werden. Dazu sollte man wissen, dass ein Privatauto im Durchschnitt am Tag bis zu 23 Stunden rumsteht. Die sogenannten «Stehzeuge» werden also zu mobilen Powerbanks, die sich zu einem grossen Energiespeicher zusammenschliessen lassen, ähnlich einem Stausee. So können Haushalte quasi den Strom in Spitzenzeiten von den Elektroautos abzapfen, während diese sich über Nacht zu einem günstigeren Tarif wieder komplett aufladen. Ein Auto mit 11 Kilowatt Leistung liefert in einer Stunde mehr Strom als ein Schweizer Haushalt am Tag durchschnittlich verbraucht.

Sieben Player, ein Ziel
Um Elektroautos für die Stabilisierung der Stromnetze zu nutzen, gehen sieben Unternehmen unter der Leitung von Mobility mit «V2X Suisse» innovative Wege: Automobilhersteller Honda, Software-Entwickler sun2wheel, Ladestationen-Entwickler EVTEC, Aggregatoren-Hersteller tiko und novatlantis als wissenschaftlicher Begleiter. Das Projekt wird durch das Pilot- und Demonstrationsprogramm des Bundesamts für Energie (BFE) unterstützt.
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Ein einzigartiger Test
Dies ist der erste grossflächige Test seiner Art. Ab September 2022 sind für ein Jahr 50 «Honda e» an 40 Mobility-Standorten in der ganzen Schweiz im Einsatz. Zum ersten Mal können bidirektional-ladende Serienelektroautos flächendeckend im Mobilitätsalltag genutzt werden.
Das Testmodell im internationalen Vergleich:
- Bislang gab es noch keinen vergleichbaren Test mit 50 Fahrzeugen – andere Projekte setzen auf eine deutlich geringere Anzahl
- Flächenmässige Verteilung von 40 Standorten auf das ganze Land – bislang wurden die Tests auf nur einen Standort oder eine Stadt beschränkt
- Das Versuchsmodell setzt auf zertifizierte Serienprodukte im Normalbetrieb (Ladestation und Fahrzeug auf CCS-Basis) – keine geschulten Benutzer, Laborbetrieb oder Prototypen
- Die Stromflexibilität wird gleichzeitig drei verschiedenen Abnehmern angeboten (Netzregulation, lokale EVU und ZEV) – bislang wurde immer nur mit einem Abnehmer getestet

Begriffe
V2H (Vehicle-to-home)
Bidirektional ladefähige E-Autos können nicht nur elektrische Energie zu Fahrzwecken speichern, sondern auch wieder in das Haus zurückspeisen. Vehicle-to-home ermöglicht somit die Versorgung des eigenen Haushalts mit der gespeicherten elektrischen Energie aus dem eAuto. Die gesamten Lade- und Rückspeisevorgänge finden hinter dem Hauszähler statt und wird häufig eingesetzt um die Eigenversorgungsquote mittels Solarstromanlagen zu steigern.
V2B (Vehicle-to-building)
Wie bei Vehicle-to-home können bidirektional ladefähige E-Autos nicht nur elektrische Energie zu Fahrzwecken speichern, sondern auch wieder in das Gebäude mit mehreren Bezügern zurück speisen. Vehicle-to-building ermöglicht somit die Versorgung des eigenen Mehrfamilienhauses oder Gewerbe-/Industriebetriebes mit der gespeicherten elektrischen Energie aus dem eAuto, oft auch als Teil einer eAutoflotte. Zusätzlich können durch Peak-Shaving gebäudeinterne Lastspitzen gekappt werden. Die gesamten Lade- und Rückspeisevorgänge finden hinter dem elektrischen Gebäudeanschluss statt.
V2G (Vehicle-to-grid)
Bidirektional ladefähige eAutos können nicht nur elektrische Energie aus dem Netz entnehmen, sondern als Teil eines intelligenten Energiesystems auch wieder in das Netz einspeisen. Dieser Vorgang wird durch Signale des Verteil- oder Übertragungsnetzbetreibers gesteuert und kann sowohl auf öffentlichen Ladeplätzen als auch innerhalb von Gebäuden über den Netzanschluss erfolgen. Die V2G Lade- und Entladevorgänge einer grösseren Anzahl von E-Autos (Pooling) dienen im Energiehandel und zu Stabilisierungszwecken als Dienstleistungen sowohl im Verteil- als auch im Übertragungsnetz. Vehicle-to-grid ermöglicht somit die intelligente Sektorenkopplung.
V2X (Vehicle-to-everything)
V2X gilt als Sammelbegriff für alle obigen Anwendungen und drückt auch die kombinierte Anwendung mehrerer Betriebsarten aus. So können z.B. bidirektional ladefähige eAutos in einer Einstellhalle einer grösseren Liegenschaft sowohl zur Eigenverbrauchoptimierung und für Peak-Shaving Zwecke (V2B) als auch zum Erbringen von Netzdienstleistungen (V2G) verwendet werden. Die autonome Versorgung von Einzelverbrauchern und Inselnetzen wie auch das Laden anderer eAutos vervollständigen das Bild.
Häufige Fragen
Wie weit ist die bidirektionale Ladetechnologie?
Es gibt erste Hersteller in der Schweiz und international, welche technisch ausgereifte bidirektionale Ladestationen mit CHAdeMO Steckern auf den Markt gebracht haben. Diese sind im Vorfeld in mehrjährigen Versuchen ausführlich getestet worden. Das bidirektionale Laden über CCS Stecker wird momentan erst von einem Schweizer Fabrikat ermöglicht. In Japan wiederum ist die bidirektionale Ladetechnologie seit Jahren bei jedem Elektromobil Pflicht.
Ist bidirektionales Laden in der Schweiz erlaubt?
Grundsätzlich ist bidirektionales Laden mit dem Betrieb stationärer Batterien gleichzusetzen. Falls die Ladeinfrastruktur die VSE Empfehlung Netzanschluss für Energieerzeugungsanlagen (NA-EEA) und der technischen Normen für elektrische Sicherheit und elektromagnetische Verträglichkeit, ist sie bei der Anmeldung beim Verteilnetzbetreiber bewilligungsfähig. Ab 01.01.2022 können bidirektionale Ladestationen regulär mittels aktualisiertem technischem Anschlussgesuch (TAG) angemeldet werden.
Können alle Elektromobile bidirektional geladen werden?
Nein, leider noch nicht. Grundsätzlich können alle japanischen Elektrofahrzeuge bidirektional laden, weil dies vom japanischen Staat vorgeschrieben ist. Möglich ist bidirektionales Laden vor allem bei Fahrzeugtypen mit CHAdeMO, in einem Fall jedoch auch mit CCS Schnelladekabel. Generell benötigt bidirektionales Laden die Genehmigung des Fahrzeugherstellers und die Zertifizierung der Ladestation für den jeweiligen Fahrzeugtyp.
In der Schweiz verfĂĽgbare Steckerfahrzeuge fĂĽr bidirektionales Laden (Stand August 2021):
Fahrzeug | Stecker |
Nissan Leaf, e-NV-200 (Lieferwagen) und EVALIA (Kleinbus) | CHAdeMO |
Mitsubishi i-MiEV, Outlander und Eclipse Cross | CHAdeMO |
Peugeot iOn und Citroën C-Zero | CHAdeMO |
Honda e | CCS |
Mehrere Fahrzeughersteller haben fĂĽr die nahe Zukunft die Belieferung des Marktes mit bidirektional ladbaren Elektromodellen angekĂĽndigt. Generell ist mit der EinfĂĽhrung einer internationalen Norm bis 2025 zu rechnen, welche auch das bidirektionale Laden mit CCS Ladesteckern verbindlich regeln wird.
Schadet bidirektionales Laden meiner Fahrzeugbatterie?
Jahrelange Praxis und wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Lithiumbatterien sehr robust sind. Ausserdem haben die neuesten technischen Entwicklungen eine nochmals erhöhte Lebensdauer der Batterien zur Folge. Da die Entladeleistung beim bidirektionalen Laden im Vergleich zum Fahrbetrieb viel geringer ist (Faktor 10 und mehr), ist die zusätzliche Alterung der Batterie äusserst gering. Die Zulassung von Fahrzeugmodellen für den bidirektionalen Ladebetrieb durch deren Hersteller beinhaltet auch die Beibehaltung der vollständigen Garantieleistungen.
Was bedeuten bidirektionale Ladestationen für die bestehende Stromnetz-Infrastruktur des betreffenden Gebäudes?
Durch die Zwischenspeicherung und gezielte Rückspeisung ins Gebäude von selbst produzierten Solarstrom wird die Eigenverbrauchsquote einer Liegenschaft oder eines Areals mit Photovoltaikanlage erhöht und somit die Bezugskosten elektrischer Energie vermindert. Der bidirektionale Anschluss von Fahrzeugen ermöglicht ausserdem den Abbau von Leistungsspitzen, indem die Batterien lastgesteuert entladen werden. Durch diese Rückspeisung werden für den Anwender eine Reduktion der Netzkosten durch Einsparungen beim Leistungstarif erzielt. Bei einer grösseren Anzahl zurückspeisender Fahrzeuge kann die Ladeleistung der Ladeinfrastruktur sogar über die Kapazität der installierten Anschlussleistung gehoben werden.
Was kann V2X zur Stabilität der Stromversorgung beitragen?
Durch gebündeltes Laden und Entladen von Fahrzeugen können Überlastungen des Netzes z.B. durch unregelmässig einspeisende Solarstrom- oder Windkraftanlagen abgebaut werden. 100'000 ans Netz angeschlossen Elektrofahrzeuge mit je ±10 kW stellen z.B. eine dezentrale Regelleistung von ±1 GW dar. Dies entspricht der Leistung des grössten Schweizer Pumpspeicherwerks Limmern. Die Hälfte der in den 100'000 Batterien speicherbaren Energie reicht aus, um 200'000 durchschnittliche Einfamilienhäuser einen Tag lang mit Strom zu versorgen.