Geht 2035 das erste klimaneutrale Flugzeug in die Luft?

Die Fliegerei belastet das Klima. In Zukunft könnte sich das ändern. Dank leichterer Materialien, besserer Aerodynamik und effizienterer Triebwerke könnte die Energiewende am Himmel gelingen. Wir fragen Volker Thum, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), wo wir stehen – und wohin die Reise noch führt.

18.08.2021

  • Nachhaltigkeit

  • Zukunft

Volker Thum, werden Flugzeuge in Zukunft umweltfreundlicher als Züge?

Ja, denn wir verfolgen das Ziel des Nullemissionsflugzeugs und haben konkrete Pläne für dieses ambitionierte Ziel. Schon heute arbeiten Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland und Europa am Flugzeug der Zukunft. Bis 2028 sollen dafür die ersten konkreten Entwürfe stehen, bis 2035 wollen wir das erste klimaneutrale Flugzeug bauen. Bis 2050 können und wollen wir so die Klimaneutralität in der Luftfahrt erreichen. So gelingt die Energiewende am Himmel.

« Das Flugzeug der Zukunft ist digital und klimaneutral. »

Sie arbeiten beim Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Welche Eckziele verfolgt der Verband?

Der BDLI ist die Stimme der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Wir vertreten eine strategisch wichtige High-Tech-Branche, in der Deutschland und Europa eine global führende Rolle einnehmen. Denn diese Industrie verleiht dem Wirtschaftsstandort Deutschland in vielfältiger Hinsicht nachhaltigen Schub als Job-, Umsatz- und Technologiemotor. Wir haben auch Partner und Zulieferer in der Schweiz wie zum Beispiel RUAG und die Liebherr-Gruppe. Die Liebherr-Tochter «Liebherr-Aerospace Lindenberg» ist ein bedeutender deutscher Zulieferer. Unsere Mitgliedsunternehmen arbeiten schon heute am Flugzeug der Zukunft: Das wird digital und klimaneutral.

Was ist der Schlüssel, um diese Ziele zu erreichen?

Wir erreichen die Klimaneutralität in der Luftfahrt, wenn alle mit anpacken. Denn die Energiewende am Himmel ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Konkret bedeutet das, die Luftfahrtforschung mit dem Schwerpunkt «klimaneutrales Fliegen» zu stärken und ein Technologie-Demonstratoren-Programm zu organisieren und zu finanzieren. Denn kurz- und mittelfristig sowie auf der Langstrecke haben nachhaltige Flugkraftstoffe das vielversprechendste Potenzial, Emissionen unmittelbar zu senken.

« Die Energiewende am Himmel ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. »

Hat synthetisch hergestelltes Kerosin auch bei der Verbrennung Vorteile, oder nur bei der Herstellung?

Bei der Verbrennung fossiler Kraftstoffe entstehen immer auch Partikel, die wir bei früheren Triebwerken noch als «Russ» sehen konnten. Diese Partikel lassen Kondensstreifen und luftfahrt-induzierte Bewölkung entstehen. Mit synthetischen Kraftstoffen kann die Anzahl der Partikel und somit auch die Klimawirkung extrem reduziert werden.

«Nachhaltige Flugzeug-Brennstoffe» – können Sie das kurz erklären?

Ja, das ist im Prinzip ein recht simples Verfahren. Die «Sustainable Aviation Fuels», so genannte SAF, sorgen unmittelbar für einen klimaneutralen Betrieb. Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen wird die Energie des Kerosins aus erneuerbaren Quellen gewonnen. Idealerweise kommt hierfür das sogenannte Power-to-Liquid (PtL)-Verfahren zum Einsatz, wobei mit Hilfe von Strom aus Solar- oder Windenergie mittels Elektrolyseverfahren grüner Wasserstoff erzeugt wird. In einem nachgeschalteten Prozess wird dieser mit CO2 zu künstlichen Kohlenwasserstoffen kombiniert, aus denen SAF erzeugt wird. SAF können dem fossilen Kerosin beigemischt werden, oder das Flugzeug fliegt ausschliesslich mit ihnen. Das Problem ist aber die noch geringe Verfügbarkeit sowie der aktuell noch sehr hohe Preis. Deshalb braucht es jetzt die schnelle Industrialisierung dieser Technologie.

« Wir brauchen eine schnelle Industrialisierung der Technologien, um genügend moderne Treibstoffe herzustellen. »

Was sind über die Brennstoffe hinaus die zwei wichtigsten Zukunftsfaktoren? Wo wird am intensivsten geforscht?

Neben den Brennstoffen kommt den Triebwerken eine Schlüsselrolle zu. Auch da sehen wir grosse Fortschritte: Die neusten Triebwerksgenerationen reduzieren den Brennstoffverbrauch gegenüber dem Jahr 2000 um bis zu 36 %. Zudem ermöglichen neue Technologien wie der 3D-Druck eine erhebliche Senkung des Gewichts, was unmittelbar Emissionen einspart. Neue Ansätze wie Winglets, also speziell konzipierte Aussenflügel an den Enden der Tragflächen oder die Haifischhaut auf dem Flugzeugrumpf − eine der Haut von Haifischen nachempfundene Oberflächenbeschichtung − versprechen zudem substanzielle aerodynamische Vorteile. Damit steht fest: Jedes neue Flugzeug, das ein älteres Modell ersetzt, hilft dem Klima. Denn Modernisierung ist der beste Klimaschutz.

Man liest von «Quantentechnologie» in der Luftfahrt – was hat es damit auf sich?

Quantencomputer gelten als eine der bahnbrechendsten Technologien der Zukunft. Sie ermöglichen eine radikale Verkürzung von Rechenzeiten. Mit ihnen können Berechnungen durchgeführt werden, für die herkömmliche Computer mitunter Jahre brauchen würden. Vom Einsatz der Quantentechnologie versprechen wir uns in der Luftfahrt erhebliche Fortschritte, zum Beispiel in Bereichen der digitalen Modellierung, der künstlichen Intelligenz, der Materialforschung und der Softwareentwicklung. Der Weg zu einem programmierbaren, fehlertoleranten Quantencomputer ist jedoch noch lang. Deshalb ist es wichtig, die notwendigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten weiter voranzutreiben und zu verstärken.

« Modernisierung ist der beste Klimaschutz. »

Sie sprechen für Deutschland. Wie sieht es für eine nachhaltige Luftfahrt gesamteuropäisch bzw. weltweit aus?

Das stimmt, Deutschland kann zum Hub für das klimaneutrale Fliegen werden, aber die Luftfahrt ist international. Daher haben wir uns als erste Branche überhaupt weltweit zu klimaneutralem Wachstum verpflichtet. Wir stehen hinter dem UN-Klimaabkommen von Paris und den UN-Klimaschutzlösungen für die Luftfahrt. Deshalb hat sich die globale Luftfahrt «klimaneutrales Fliegen» zum Ziel gesetzt, wofür es einen klaren «Flugplan» gibt.

« Wir stehen hinter dem UN-Klimaabkommen von Paris. »

Die finanzielle Kompensation von Emissionen bleibt ein Instrument – ist das ein Feigenblatt nach dem Prinzip des Ablasshandels?

Nein, die «Offsetting» genannte Kompensation ist ein wichtigstes Instrument, um schon heute den CO2-Fussabdruck zu verkleinern. Zahlreiche Technologien des klimaneutralen Fliegens müssen erst noch in Serienreife verfügbar und skalierbar, also wachstumsfähig sein. Bis dahin hilft das Offsetting von Emissionen, CO2-Emissionen finanziell auszugleichen. Langfristig wird das nicht mehr nötig sein.

Wo liegen die grössten Stolpersteine auf dem skizzierten Weg zu den Zielen?

Wir arbeiten unter Hochdruck an klimaneutralen Technologien und deren baldigen Einsatz. Das gelingt aber nur, wenn alle mit anpacken. Viele Technologien sind schlicht noch zu teuer oder erfordern einen substanziellen Umbau des Flugzeugs. Ein Beispiel: Wir setzen auch auf Wasserstoff für das Flugzeug der Zukunft. Doch benötigt diese Technologie, verglichen mit herkömmlichem Kerosin, bei gleicher Energiedichte das vierfache Volumen. Das bedeutet, dass wir das gesamte Flugzeug neu denken müssen. Das ist eine Mammutaufgabe. Aber wir werden das schaffen und Sie und ich werden noch zu Lebzeiten klimaneutral fliegen.

Zur Person

Volker Thum (Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V.)

Volker Thum ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Vor seinem Wechsel zum BDLI war er Leiter des Airbus-Werkes in Bremen, dem zweitgrössten Airbus-Standort in Deutschland. Zuvor war er in leitenden Funktionen in Toulouse, Stade und in Hamburg für den europäischen Flugzeughersteller tätig. Thum absolvierte an der TU Karlsruhe ein Studium zum Diplom-Wirtschaftsingenieur.

Der BDLI vertritt mit rund 250 Mitgliedern und 105.000 direkt Beschäftigten die Interessen der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. In ihr sind nahezu alle strategischen Schlüsseltechnologien gebündelt. Der Umsatz liegt bei 31 Milliarden Euro (2020). Zu den primären Aufgaben des BDLI gehören die Kommunikation mit politischen Institutionen, Behörden, Verbänden und ausländischen Vertretungen in Deutschland, aber auch verschiedenste Mitglieder-Serviceleistungen im In- und Ausland. Der Verband ist Markeninhaber der ILA Berlin – die Messe für «Innovation and Leadership in Aerospace» (nächste Austragung im Juni 2022). www.bdli.de

Volker Thum

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