Wir ertrinken in unserem eigenen Abfall

Null Müll. Geht das?

Unser Abfall belastet die Umwelt. Deshalb versucht die Zero-Waste-Bewegung, möglichst keinen davon zu produzieren. Wie macht man das? Wir haben Rosanna Brady aus Luzern gefragt.

18.08.2021

  • Nachhaltigkeit

  • Lifestyle

Rosanna, du lebst nach dem Zero-Waste-Prinzip. Was ist damit genau gemeint?

Es geht darum, dass nichts produziert werden soll, was am Schluss als Abfall anfallen könnte. Das betrifft nicht nur Plastik, aus dem viele Verpackungen bestehen. Auch Glas und andere Materialien brauchen viel Energie, um hergestellt und wieder recycelt zu werden. Das ist denn auch der Unterschied zwischen Recycling und Zero Waste: Bei Zero Waste vermeidet man möglichst alle Arten von Abfall, auch die recycelbaren. Die ganze Produktionskette zählt.

Das ist eine riesige Umstellung des Lebensstils. Wie packt man das an?

Ich würde allen empfehlen, einen Schritt nach dem andern zu tun, statt alles gleichzeitig umzusetzen. Umgewöhnungen brauchen Zeit. Fangt bei den einfachen Dingen an: zum Beispiel, immer die eigene Einkaufstasche mitzubringen, inklusive kleinen Stoffsäckchen für Früchte und Gemüse. Als nächstes könnte man aufhören, PET-Flaschen zu kaufen, und seine eigene Mehrwegflasche dabei haben. Oder schauen, dass man Lebensmittel und andere Produkte ohne Einwegverpackung nachfüllen kann. Wenn mehr und mehr kleine Dinge nacheinander zur Gewohnheit werden, geht es viel einfacher.

« Die nachhaltigste Methode ist immer, das zu benutzen, was man schon zu Hause hat. »

Dazu muss man sich erstmal ziemlich schlau machen.

Ja, das gehört dazu. Es gibt viele Webseiten, Bücher, Blogs und Facebook-Gruppen. Auch an Vorträgen erfährt man Interessantes. Es gibt mehr Möglichkeiten und Produkte, als man denkt: Zum Beispiel Zahnpasta in Tablettenform, die man in ein Glas füllen kann. Oder Shampoo in fester Form. Man kann aber auch leere Shampoo- oder Putzmittelflaschen wieder auffüllen lassen: in Unverpackt-Läden, Apotheken, Drogerien und Reformhäusern. Ich benutze immer noch meine alte

Geschirrspülflasche, die ich vor zwei Jahren gekauft habe. Die nachhaltigste Methode ist ja sowieso immer, das zu benutzen, was man schon zu Hause hat.

Braucht Zero Waste mehr Zeit im Alltag, weil man mehr suchen muss?

Jein. Am Anfang muss man sich etwas informieren, danach ist man automatisch besser organisiert. Ich gehe heute weniger, dafür gezielter einkaufen: Ich weiss, was ich brauche und wo ich es finde. Das braucht nicht mehr Zeit als früher. Und viele Dinge sind näher, als man denkt: Im Quartierladen um die Ecke gibt es Joghurt im Pfandglas, das Reformhaus in der Nähe verkauft gegen Depot Mehrwegflaschen, die ich wieder zurückbringen kann. Für andere Dinge muss ich etwas weiter reisen: In Zürich, wo ich arbeite, kaufe ich Feta in einem türkischen Geschäft und Tofu in einem Unverpacktladen.

Wie hat sich dein Alltag verändert, seit du nach Zero Waste lebst?

Ich koche mehr selbst und bereite Vieles zu Hause vor, das man ohne Verpackung kaum findet; Teig zum Beispiel. Ich habe meist meine Wasserflasche dabei und meine Mehrwegtasche, oft auch Tupperware oder kleine «Säckli», damit ich Dinge spontan einkaufen kann. Ich habe meine Tupperware, mit denen ich einkaufe, gewogen und ihr Gewicht draufgeschrieben. So weiss der Verkäufer an der Kasse gleich, wie viel er abziehen muss. Ich habe eine neue Normalität für mich entworfen.

Aber es gibt doch sicher Dinge, die man nirgends unverpackt findet – Elektronik und Laptops zum Beispiel?

Ja, das ist schwierig. Ich kaufe viele elektronische Geräte Secondhand. Wir produzieren ja sehr viel Elektroabfall, auch mit noch funktionierenden Geräten. Ich gehe zudem in Brockenhäuser oder nutze Leih- und Mietplattformen wie Sharely und Pumpipumpe: Mit Klebern auf dem Briefkasten kann ich zeigen, was ich zu Hause habe und was andere ausleihen können. Das ist praktisch für Dinge wie Bohrmaschinen und andere Geräte, die man selten nutzt. Auch Kleider kaufe ich inzwischen nur noch Second Hand. 

Ist es nicht praktisch unmöglich, die ganze Produktionskette eines Produkts zu überblicken?

Hundert Prozent nach Zero Waste zu leben, ist nie möglich. Aber es gibt trotzdem viele Möglichkeiten, alle Arten von Abfall zu reduzieren. Wenn ich Verpackungsabfall nicht vermeiden kann, achte ich darauf, dass er recycelbar ist. Und ich versuche, meine Macht als Konsumentin zu nutzen.

Wie sieht diese Macht denn aus?

Ich habe zum Beispiel schon Firmen angerufen und gefragt, wie etwas verpackt sein wird, und ob ich die Verpackung wieder zurückschicken kann. Oder ich schrieb einer Fleischersatzherstellerin, dass ich ihre Produkte liebe und so gerne kaufen möchte, aber auch nach Zero Waste leben möchte. Sie fragte dann zurück, ob ich einen Unverpacktladen kenne, den sie für ihre Produkte kontaktieren könnte. Das ist toll. Wenn man engagiert ist, kann man durchaus etwas bewirken.

« Es war mir peinlich, zu fragen, ob die Verkäufer mir etwas direkt ins Tupperware füllen könnten. Als sie positiv reagierten, merkte ich, wie einfach es ist »

Was ist der grösste Gewinn des Zero Waste-Lebensstils für dich?

Seit ich meinen Lebensstil umgestellt habe, habe ich engeren Kontakt mit jenen Menschen, bei denen ich einkaufe. Ich kaufe automatisch mehr Bio und Regionales, weil viele solcher Lebensmittel oft automatisch Zero Waste sind. Vielleicht lebe ich dadurch gesünder. Und ich habe viele inspirierende Menschen kennengelernt.

Und was war oder ist am schwierigsten?

Beim Einkaufen habe ich mich anfangs ein wenig geschämt. Es war mir peinlich, zu fragen, ob die Verkäufer mir etwas ins Tupperware füllen könnten. Als sie positiv reagierten oder schlicht antworteten: «Ja, klar!», merkte ich, wie einfach es ist.

Verein Zero Waste Switzerland

Rosanna Brady ist Botschafterin des Vereins Zero Waste Switzerland. Der gemeinnützige Verein will die Bevölkerung sowie Akteure aus Wirtschaft und Gemeinwesen inspirieren und unterstützen, Abfälle an der Quelle zu reduzieren. www.zerowasteswitzerland.ch

Bild von Rosanna Brady

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