„Wir brauchen mehr Mobilität und weniger Verkehr“

Das Ziel des europäischen Klimagesetzes ist, uns bis 2050 klimaneutral zu machen. Dafür müssen wir unsere Mobilität neu denken und unser Verhalten relativ schnell ändern. Wie können uns Politik und Technologie helfen? Vier Mobilitätsexpertinnen und -experten diskutierten darüber während der letzten Delegiertenversammlung von Mobility.

14.06.2023

  • Zukunft

Die Gäste

  • Barbara Schaffner, Nationalrätin GLP, Mitglied der Kommission fĂĽr Verkehr, Physikerin
  • Prof. Dr. Merla Kubli, Assistenzprofessorin Managing Climate Solutions am Institut fĂĽr Wirtschaft und Ă–kologie, HSG
  • Simon Kettner, Leiter Abteilung Mobilitätsstrategie, Kanton Basel-Stadt
  • Hans Fischer, MitgrĂĽnder Solar Manager und Autor bei Technikblog

Mehr Elektroantriebe, weniger Autos und innovative Lösungen wie Carsharing – unsere Mobilität muss sich verändern. Das erfordert auch neue Verhaltensweisen. Fakt ist jedoch: Die Anzahl der Fahrzeuge wächst, es sind noch deutlich mehr Verbrenner als Elektroautos unterwegs. Carsharing ist zwar in der Stadt beliebt, aber weniger auf dem Land. Dort besitzen Familien gerne ein bis zwei eigene Autos.

Doch warum ist das so? Es liegt mitunter an unserem gewohnten Verhalten, das wir ungern anpassen. Wer auf das eigene Auto verzichtet oder auf ein Elektrofahrzeug umsteigt, muss vorausplanen und hat den Parkplatz vielleicht nicht mehr vor der eigenen Haustüre. Und im stressigen Alltag das Velo zu nutzen oder zu Fuss zu gehen, ist für einige eine zu grosse Umstellung. Wie kann die Mobilitätswende trotzdem gelingen? Durch Anreize der Politik zum Beispiel. Einblick hat Barbara Schaffner, Nationalrätin GLP und Mitglied der Kommission für Verkehr.

Hebel der Politik

Sie sagt: „Corona hat gezeigt: Wir können uns schneller anpassen als gedacht, wenn sich die äusseren Umstände ändern. Dazu sind neue Denkweisen in der Politik gefordert. Würden Strassen weiter ausgebaut und die Pendelwege auf diese Weise zeitlich kürzer, gebe es für viele Menschen keinen Grund, das Auto stehenzulassen oder sich eine Arbeitsstelle in der Nähe zu suchen. Zudem sollte die Mobilität integral gedacht und auch finanziert werden. Wir können heute viele Verkehrsmittel miteinander kombinieren, wie das eigene oder geteilte Auto, das Velo oder den Zug. Das muss in der Politik und Verwaltung Einzug halten und gefördert werden.“ Dazu gehört laut Schaffner zum Beispiel, dass genügend günstige Parkplätze an den Bahnhöfen verfügbar sind, damit der Übergang auf den Zug funktionieren kann. Oder, dass innovativen Unternehmen keine Steine in den Weg gelegt werden. „Das Silodenken in der Politik macht vieles kompliziert. So gibt es zum Beispiel Gesetze für Taxiunternehmen und Gesetze für Linienbusse. Neuere Verkehrsmittel respektive Geschäftsmodelle wie Ruftaxis gehören weder in die eine, noch in die andere Kategorie, aber unterliegen den Vorschriften für beide.“

Auch die Kosten der Mobilität sind ein Hebel in der Politik: „Wir sehen viele Verbrenner auf den Strassen. Da wäre eine CO2-Abgabe ein Weg, Anreize für den Umstieg zu schaffen“, so Barbara Schaffner. Zudem müsse die Raumplanung optimiert werden. „Kurze Wege bedeuten weniger Verkehr.“

Barbara Schaffner, Nationalrätin GLP und Mitglied der Kommission für Verkehr

Neue Stadtplanung fĂĽr kĂĽrzere Wege

Simon Kettner setzt sich mit der Mobilitätsstrategie des Kantons Basel-Stadt auseinander und bringt die städtische Perspektive mit in die Podiumsdiskussion ein. Auch er ist überzeugt davon, dass die Wege wieder kürzer werden müssen: „Wenn ich zu Fuss um die Ecke einkaufen gehen kann, ist das besser, als wenn ich mit dem Auto ins Industriegebiet fahren muss." Dass plötzlich alle nur noch zu Fuss gehen, sieht er aber nicht. „Mobilität heisst, dass ich meine Bedürfnisse gut erfüllen kann. Natürlich wollen wir weiter bequem zur Arbeit kommen, einkaufen oder ins Kino gehen und Freunde besuchen. Wir brauchen dazu sogar mehr Mobilität, aber weniger Verkehr.“ Kettner erklärt den scheinbaren Gegensatz: "Verkehr besteht aus Fahrzeugen, die Ressourcen, Energie und Fläche fressen. Mobilität sollte aus anderen Konzepten bestehen, die das eigene Auto ersetzen können. Ein Carsharing-Auto braucht immer noch zu viel Fläche. Aber: Es kann immerhin zehn Privatautos ersetzen und Fläche einsparen. Das ist sinnvoll.” Denn: „Autos wird es weiterhin geben und sie haben eine Berechtigung für einzelne Fahrten. Sie sollten aber effizienter genutzt, weniger an der Zahl und elektrifiziert werden.”

Innovative Konzepte wie Carsharing sind besonders in den Städten erfolgreich. Die Lösung müsse aber auch im ländlichen Raum und in der Agglomeration gesucht werden, weiss Simon Kettner „Auch da müssen wir die Verkehrsmittel überdenken.“ Um neue Mobilitätskonzepte im ländlichen Raum voranzutreiben, brauche es vermutlich mehr Anschubfinanzierungen und Partnerschaften mit Gemeinden und Unternehmen, wie das Mobility vormacht. Gerade auf dem Land sei es schwierig, die nötige Dichte an Nutzerinnen und Nutzern zu erreichen. So aber könnte das Angebot wenigstens aufgebaut werden, um Erfahrungen zu sammeln. "Wenn alles gut klappt, verkaufen die Leute vielleicht ihr eigenes Auto und die Subventionen sind nicht mehr nötig.“

Simon Kettner, Amt für Mobilität Kanton Basel-Stadt

Erste Erfahrungen sind enorm wichtig

Mit dem Thema Erfahrung beschäftigt sich Prof. Dr. Merla Kubli. Sie forscht zum Nutzerverhalten bei neuen Technologien und weiss: Sein Verhalten zu ändern geht am besten, wenn es wenig Aufwand erfordert und es für uns zeitlich oder finanziell Sinn ergibt. Am Ende sei aber auch oft entscheidend, wie nutzerfreundlich die neuen Systeme wie Ladestationen, Stecker oder smarte Lösungen sind. "Wenn die Leute zum ersten Mal ein E-Auto fahren und es an öffentlichen Ladestationen beim Laden Probleme gibt, werden sie enorm abgeschreckt." Auch der Sinn und Zweck hinter einer Technologie kann die Menschen motivieren: Smart Charging beispielsweise, bei dem man das E-Auto nur dann lädt, wenn es netzdienlich ist und sich viel Strom im Netz befindet, sei in erster Linie kein Kundenbedürfnis, sondern stiftet einen Nutzen durch die Stabilisierung der Stromnetze. Daher gilt es gut zu kommunizieren und die Chancen für alle aufzuzeigen: “Zum Beispiel: Mit einem Aufschwung der Elektromobilität rollen bald Millionen potenzielle Solarspeicher auf Schweizer Strassen. Nutzen wir sie!”

Prof. Dr. Merla Kubli, Universität St. Gallen

Ă„ngste abbauen

Die Vorteile und den Komfort von E-Autos testet seit rund sechs Jahren Hans Fischer, Mitgründer Solar Manager und Autor bei Technikblog. Auch er weiss, wie wichtig gute Kommunikation ist, um Vorurteile abzubauen: „Die Frage ist immer: Wie lange kann ich fahren, bis ich mein Auto laden muss oder vielleicht auf der Strasse stehen bleibe? Diesen Ängsten muss man mit sehr viel Aufklärungsarbeit begegnen.“ Zum Glück seien die Ladestecker inzwischen meist standardisiert. Schwierig sei das Überangebot an Ladestationsherstellern. „Da kann es noch zwei, drei Jahre dauern, bis wir eine einheitliche gute Lösung haben.“
Etwas haben wir laut Hans Fischer zum Glück schon geschafft. "Das letzte Jahr, in dem die Strompreise gestiegen sind, hat dazu geführt, dass die Leute sich bewusst mit Energie und deren Preisen auseinandergesetzt haben. Was kann ich mit dem Strom machen? Wie kann ich ihn sparen? Woher kommt er?” Dieses neue Gefühl für das Thema sei der wichtigste Schritt in die richtige Richtung.

Hans Fischer, MitgrĂĽnder Solar Manager und Autor bei Technikblog

Mobility-Genossenschaft:

Jährliche Delegiertenversammlung 
Mobility ist als Mobility Genossenschaft im Handelsregister von Zug eingetragen. Sie entstand 1997 durch die Fusion der 1987 gegrĂĽndeten Genossenschaften ATG AutoTeilet Genossenschaft und ShareCom. Delegierte sind Repräsentantinnen und Repräsentanten der Genossenschafter:innen ihrer Sektion und vertreten diese an der jährlichen Delegiertenversammlung. In diesem Jahr wurde erstmals eine Podiumsdiskussion durchgefĂĽhrt mit externen Expertinnen und Experten zum Thema Mobilität. 

Weitere Informationen zur Genossenschaftsstruktur gibts hier.

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