«Ein nachhaltiger Lebensstil muss mühelos sein»

Rebecca Karbaumer ist neu gewählte Verwaltungsrätin der Mobility Genossenschaft. Sie plädiert fĂĽr mehr Emotionen sowie Diversität in der Branche und will Carsharing zum Rocken bringen. Auch wenn sie privat lieber Klassik hört.  

Text   Stefan Roschi

18.08.2022

  • Mobility

  • Nachhaltigkeit

In Latzhosen und Gummistiefeln fühlt sich Rebecca Karbaumer besonders wohl. Während andere im Corona-Lockdown Yoga oder Sauerteigbrote entdecken, absolviert sie ein Fernstudium zur Gartengestaltung und widmet sich der Biodiversität, stellt Wildbestäuber-Bienen bessere Lebensräume zur Verfügung. Ob im eigenen Garten oder per Guerilla-Gardening: Die 37-Jährige mag es unkonventionell.

Im Mai 2022 wählten die Delegierten der Mobility Genossenschaft Rebecca Karbaumer zur neuen Verwaltungsrätin des Unternehmens. Während der Wahl war sie per Video zugeschaltet, denn sie lebt und arbeitet in Bremen als Projektkoordinatorin für nachhaltige Mobilität und konnte grad nicht weg. Vor Ort fand zum selben Zeitpunkt die eher ungewöhnliche Fachtagung statt, die sie mitgestaltet hatte. Titel: Shared Mobility Rocks!

 

Rebecca, Mobilitätsthemen haftet oft etwas Biederes an. Wie kommt man dazu, ein Symposium unter dem Motto «Shared Mobility Rocks» durchzuführen?

Die ursprüngliche Idee kam von belgischen Kollegen, mit denen ich in einem EU-Projekt zusammengearbeitet hatte. Dahinter steht die Auffassung, dass Fachtagungen nicht trocken sein müssen, um ergiebig zu sein. Im Gegenteil: Wenn man Themen spielerisch und verrückt präsentiert, bleibt am Schluss mehr hängen. Der Event war wie ein Rockkonzert aufgebaut – und das mit Erfolg. Zur vierten Durchführung des Fachsymposiums sind Teilnehmende aus über 27 Ländern und vier Kontinenten angereist. Viele kamen, nebst der Inhalte, auch wegen der Stimmung.

Zu einem rockigen Event gehört der passende Soundrack. Nenn uns bitte deine drei liebsten Rock-Songs.

Uff, ich höre ja privat eher Klassik und Jazz, aber natĂĽrlich habe ich einige Favoriten aus dem Rock-Genre: 

  • Mr. Blue Sky von Electric Light Orchestra
  • The Tell-Tale Heart von The Alan Parsons Project
  • Don’t Fear the Reaper von Blue Ă–yster Cult

Link zur Spotify Liste *Mobility Rocks*

Braucht es ausgefallene Ansätze wie diesen Event, um das Thema geteilte Mobilität für die breite Masse zugänglicher zu machen?

Ich denke, es braucht den Mut, sich nicht immer so ernst zu nehmen. Man kann kompetent sein und trotzdem der Leidenschaft freien Lauf lassen. Für mich und viele andere ist die Arbeit in der nachhaltigen Mobilität eine Lebensmission, die mir Spass macht. Am Ende erreicht man bestimmt auch mehr Leute, wenn man sich traut seine Freude an der Sache zum Ausdruck zu bringen.

Was Spass macht, bleibt im Gespräch?

Genau. Nehmen wir das Beispiel der Autowerbungen: Dort läuft fast alles über Emotionen. Warum sprechen wir in der Nachhaltigkeitsbranche nicht öfter über das Gefühl der Freiheit und der Freude an der autofreien Mobilität? Im Alltag treffen die wenigsten Menschen ihre Mobilitätsentscheidungen aufgrund von CO2-Emissionen oder Kostenargumenten, wenn wir mal ehrlich sind. Obwohl diese Aspekte von der Mehrheit als «wichtige» Punkte bei Umfragen angegeben werden. Man handelt hauptsächlich nach dem, was praktisch und bequem ist.

Wie bist du eigentlich in der Welt der geteilten Mobilität gelandet?

Ich hatte immer konkrete Vorstellungen, was ich mit meinem Leben machen will: Die Natur und Ressourcen schützen. Darum habe ich auch zuerst Umweltwissenschaften studiert. Bei meiner Tätigkeit in der Regionalplanung in den USA habe ich bald erkannt, was nachhaltig ist und was nicht – auch in der Kommunikation. Ein nachhaltiger Lebensstil muss mühelos und zugänglich für alle sein. Dies erreicht man u.a., indem man Städte entsprechend gestaltet. Im Mobilitätsbereich landete ich erstmal per Zufall, da in Bremen eine Stelle zu intelligenten Verkehrssystemen frei wurde. Darüber fand ich dann mein berufliches Zuhause in der nachhaltigen Mobilität.

Was sind dort deine Aufgaben?

Als Referentin für Shared Mobility bin ich quasi die eierlegende Wollmilchsau. Ich koordiniere Europäische Gemeinschaftsprojekte, bei denen Bremen oft den Lead hat. Es geht aber auch um Integration von nachhaltiger Mobilität in Neubauvorhaben. Und um viel Kommunikationsarbeit.

Kommen wir zu Mobility. Wie bist du mit dem Unternehmen in BerĂĽhrung gekommen?

In der Branche kennt man Mobility natürlich als eine der Top-Anbieterin von Carsharing. Ab 2019 habe ich das Unternehmen durch persönliche Kontakte besser kennengelernt. Der schweizweite Ansatz der grossen Flotte, das zusätzliche One-Way-Angebot – das sind absolute Meisterleistungen! Deshalb freue ich mich riesig, nun richtig bei Mobility einsteigen zu können.

Was ging dir nach der Wahl zur Verwaltungsrätin durch den Kopf?

Ich fühlte mich extrem geehrt und stolz, dass mir die Delegierten ihr Vertrauen schenkten – und das, obwohl ich keine Schweizerin bin und auch nicht dort wohne.

Welche Ziele hast du dir gesetzt?

Zuerst mal will ich das Unternehmen, die Genossenschaft und die Ziele der Geschäftsleitung noch besser verstehen. Ich komme nicht mit der Absicht zu erklären, wie man den «Laden» umkrempeln soll, zumal Mobility schon so erfolgreich ist. Das ist ja auch mitunter ein Grund, warum ich überhaupt im Geburtsland des Carsharings bei Mobility mitwirken wollte.

Und danach?

Ich mag es, neue Perspektiven und Ideen einzubringen.  Die Schweiz ist Deutschland in Sachen Carsharing weit voraus. Trotzdem ist das Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Es gilt, Personen anzusprechen, die Carsharing noch nicht nutzen.

Wie zum Beispiel?

Wir sollten stärker auf die weiblichen BedĂĽrfnisse eingehen. Und das sage ich nicht, weil ich eine Frau bin. Fakt ist, dass Shared-Mobility-Angebote heute noch mehrheitlich von Männern genutzt werden. Frauen sind damit eine riesige Zielgruppe, die man noch zu wenig anspricht. Das hat viel mit Verhaltens- und Wirtschaftspsychologie zu tun. In diesem Gebiet kann und will ich mich kĂĽnftig einbringen.  

Wenn wir bei Frauen sind: Du wurdest 2021 durch TUMI (Transformative Urban Mobility Initiativ) als «Remarkable Woman in Transport» nominiert und vorgestellt. Was bedeutet dir das und wie schaffen wir es, mehr Diversität in den Mobilitätsbereich zu bringen

Für mich war es eine grosse Ehre, als eine der «Remarkable Women in Transport» nominiert zu werden – unter anderem neben der Bürgermeisterin von Paris! Schön, dass Frauen aus allen Bereichen der Branche durch diese Initiative mehr Aufmerksamkeit erhalten. In Europa arbeiten im Verkehrssektor ja nur gerade 22 Prozent Frauen. Das muss sich ändern. Nicht, weil männliche Planer nicht kompetent sind – aber unsere täglichen Erfahrungen prägen unterbewusst unsere Arbeit. Genau deshalb ist eine hohe Diversität – egal ob bei Geschlecht, Ethnizitäten oder Alter – wichtig. Nur so lässt sich für ein buntes Spektrum an Bürgerinnen und Bürger planen. In den letzten Jahren wurde die Relevanz des Themas zwar langsam erkannt. Aber an Fachtagungen, z. B., finden Sessions dazu meist nur an der Seite statt. Das Thema gehört aber auf die Haupttagesordnung.

Zum Abschluss die Pflichtfrage: Wie bist du privat unterwegs?

Meistens zu Fuss und mit dem Rad, gelegentlich mit dem öffentlichen Nah- und Fernverkehr und selbstverständlich nutze ich ab und zu das örtliche Carsharing-Angebot, wenn ich dann doch mal ein Auto benötige. Ich geniesse alle Vorzüge der geteilten Mobilität. Wenn es gar nicht anders geht, bin ich auch mal mit dem Flugzeug unterwegs. Für die Verwaltungsratssitzungen in Rotkreuz werde ich aber primär mit dem Nachtzug anreisen.

Steckbrief

Rebecca Karbaumer ist studierte Umweltwissenschaftlerin (Bachelor of Science, University of Missouri-Kansas City) und Geographin (Master in Stadt- und Regionalentwicklung, Universität Bremen). Seit Januar 2013 ist sie bei der Stadt Bremen für nachhaltige Mobilität zuständig und koordiniert europäische und lokale Verkehrsprojekte. Sie ist zudem Co-Autorin eines Buchs über Shared Mobility (How to Make Shared Mobility Rock: A Planner’s Guide to the Shared Mobility Galaxy), das als Leitfaden für Planer und Politiker auf kommunaler Ebene dient.

Mobilitätsexpertin Rebecca Karbaumer ist seit Mai 2022 Verwältungsrätin der Mobility Genossenschaft

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