«Wenn wir als Junkies am Stromnetz hängen, haben wir eine schwache Verhandlungsposition»

21.10.2022

Wenn ich morgens unterwegs bin, sehe ich fast nur Benziner auf der Strasse. Warum kaufen immer noch so wenig Menschen ein E-Auto?

Ich fahre seit zwölf Jahren elektrisch. Lange war ich damit alleine auf weiter Flur, ein Exot. In den letzten drei Jahren aber ist viel passiert: Politisch kam es in der EU und der Schweiz zu Verschärfungen wie den Emissionsgrenzwerten. Zudem erkannten die Automobilhersteller endlich den Mehrwert der E-Mobile. Das hat dazu geführt, dass immer mehr Elektroautos gefertigt werden. Sie sehen besser aus als früher, haben eine grössere Reichweite und werden günstiger. Die Produktion der Verbrennungsmotoren stellt die Industrie hingegen Schritt für Schritt ein. In zwanzig Jahren müssen wir uns mit dem Thema nicht mehr befassen. Dann nämlich sind die Verbrenner – bis auf noch vorhandene Fahrzeuge und Oldtimer –  ausgestorben…

… und der Verkehr vollständig elektrifiziert. Ist dies der einzige Weg? Was ist mit Alternativen wie hybride Antriebe, Brennstoffzellen-Autos oder Co2-neutraler Treibstoff?

Wenn man den Gesamtenergieverbrauch betrachtet, kann man sein Auto mit einer Batterie mit Abstand am effizientesten betreiben. Ich bin überzeugt: Im Personenverkehr werden daher fast 100 Prozent elektrische Fahrzeuge unterwegs sein. Das Problem bei synthetischen Treibstoffen: der Herstellungsprozess ist noch sehr aufwändig und man kämpft mit grossem Umwandlungsverlust. Dennoch machen sie stellenweise Sinn: im Schwerverkehr und fürs Fliegen, da diese Sektoren schwieriger zu elektrifizieren sind. Hier braucht es einen Kraftstoff mit hoher Energiedichte. Plug-in-Hybride sind eine Übergangstechnologie, die schon allmählich ausstirbt.

Sind Elektroautos am Ende wirklich so umweltfreundlich? Der Rohstoffabbau etwa ist problematisch.

Wir kommen aus einer Technologie, die gigantische Schäden angerichtet hat. Verbrennungsmotoren sind grosse Umweltsünder und die Ölgewinnung hat Kriege, Tod und Elend verursacht. Aus dieser Welt gelangen wir jetzt nicht direkt ins Paradies. Es ist tatsächlich so, dass auch die Elektromobilität problematische Aspekte hat. Die Rohstoffe für die Batterien werden teilweise unter fragwürdigen Bedingungen gewonnen; es sind seltene Stoffe, die nicht aufgebraucht werden sollten. Dennoch: Arbeitsbedingungen müssen angepasst werden und das Recycling der Batterien wird laufend verbessert. Viele glaubwürdige Studien zeigen, dass das Elektroauto die momentan sauberste Alternative für den Personenverkehr ist. Und in absehbarer Zeit werden wir ganz sicher eine Lösung für die aktuellen Herausforderungen der E-Mobilität haben.

« Strom ist ein extrem wichtiges und zentrales Gut in unserer Gesellschaft.  »

Der Strom fürs E-Auto sollte grün sein. Woher kommt die ganze Energie?

In der Schweiz stammt der Strom heute vor allem aus Wasserkraft und Atomkraft. Der Anteil der Solarenergie wächst, momentan liegt er bei rund fünf Prozent. In Zukunft wird unser Strom vor allem aus Solarenergie kommen, zusätzlich aus Wasserkraft und Wind. Wir werden ganz sicher genug Strom produzieren können, um alle Fahrzeuge zu betreiben. In meiner Roadmap zeige ich auf, wie das gelingen wird.

Bricht das Netz zusammen, wenn alle gleichzeitig laden?

Wenn man alle Autos gleichzeitig und ohne intelligente Steuerung ans öffentliche Netz hängen würde, dann wäre die Leistung rund dreimal so hoch wie bisher die Höchstleistung. Das würde die Netzstabilität gefährden. Elektromobilität hat aber einen grossen Vorteil und ist Teil der Lösung und nicht des Problems: Man kann die Autos lokal laden, wo der Strom durch Photovoltaik produziert wird – etwa daheim oder bei der Arbeit. Mit einer intelligenten Steuerung kann man nicht nur die Batterie laden, sondern auch bei Engpässen Energie aus der Batterie ins Netz speisen. Daher muss man nun vor allem in diese Anlagen investieren.

Ist es sinnvoll, so viel in die Eigenversorgung der Schweiz zu investieren?

Strom ist ein extrem wichtiges und zentrales Gut in unserer Gesellschaft. Darum lohnt es sich, möglichst viel davon in der Schweiz herzustellen. So hoch sind die Investitionen im Vergleich zum Nutzen nicht.

Würden Sie uns am liebsten vom europäischen Stromnetz abkapseln?

Natürlich bleiben wir im europäischen Stromnetz eingebunden. Das ist enorm wichtig für die Stabilität und unsere Versorgungssicherheit. Nur: Wenn wir als «Junkies» daran hängen und im Winter hochgradig auf eine Versorgung von aussen angewiesen sind, dann haben wir eine schwache Verhandlungsposition. Um nachhaltig im europäischen Stromnetz eingebunden zu sein, brauchen wir dringend ein Stromabkommen mit der EU. Ohne dieses verschlechtert sich unsere Versorgungssicherheit und die der EU sukzessive.

Warum denkt man erst jetzt daran?

Man ist nie davon ausgegangen, dass wir mal ein Problem mit der Stromversorgung haben könnten. Das hat sich mit dem Ukraine-Krieg geändert.

Wie versorgen wir uns in der Schweiz im Winter mit Energie, wenn die Sonne nicht so oft scheint?

Im Sommer hat man den Vorteil, dass zu viel Strom aus Wasserkraft und Solarenergie anfällt. Die Überschüsse können mit Power-to-X umgewandelt und als synthetische Treibstoffe für den Winter eingelagert werden. Das ist das gleiche Prinzip wie mit Essiggurken und Einmachobst, von denen man im Winter zehrt. So verstromt man in der dunklen Jahreszeit wieder zurück, was man im Sommer eingelagert hat oder nutzt die Treibstoffe zum Fliegen.

Sprechen wir doch noch über Komfort und Fahrspass. Ist es eigentlich bequem, ein Elektroauto zu fahren?

Der Fahrkomfort ist gigantisch! Man fährt ruhig und Reparaturen fallen kaum an. Wenn man sich angewöhnt, dass man das Auto dort lädt, wo man schläft und arbeitet, muss man unterwegs nicht mal mehr Energie tanken gehen. Beim Handy klappt das ja auch. Sicher, bei einer langen Fahrt heisst es planen. Das ist ja aber selten der Fall und dabei helfen Apps, die in Echtzeit anzeigen, wo freie Ladestellen zu finden sind.

Elektromobilität, Strom sparen, Power-to-X : Was ist nun Ihre Formel für eine komplett CO2-neutrale Schweiz bis 2050?

Es gibt nicht den einen einfachen Weg. Es geht darum, verschiedene Massnahmen gescheit zu kombinieren: Dazu sollten wir tatsächlich Verkehr und Gebäude elektrifizieren. Wir brauchen einen starken Zubau der Photovoltaik und Technologien wie Power-to-X, um die Winterlücke zu überbrücken. Zudem müssen wir die Stromeffizienz um 40 Prozent steigern. Über Smart-Grids, smarte Netze, funktioniert das Zusammenspiel der erneuerbaren Stromproduktion mit und unter diesen Verbrauchern intelligent und effizient. In die smarten Netze werden alle Verbraucher der Gebäudetechnik wie Ladestationen, Wärmepumpen oder Kühlanlagen integriert. Sie tragen dazu bei, dass Produktion und Verbrauch jederzeit, zeitlich und örtlich optimal aufeinander abgestimmt sind.

Schaffen wir das alles?

Ich bin fest davon überzeugt: 2050 haben wir unser Ziel erreicht und sind klimaneutral und weitgehend eigenversorgt unterwegs. Es werden uns allerdings Altlasten beschäftigen wie Klimaschäden und Atommüll. Die Schweiz war führend bei der Umstellung der Eisenbahn von Kohle auf Elektrizität. Bis heute profitieren wir von diesem Know-how, das wir in die Welt exportieren. In den Klimazielen sehe ich die Chance für die Schweiz, wieder eine solche Vorreiterrolle einzunehmen.   

Was kann ich selber tun?

Im Moment verpuffen rund 40 Prozent des Stroms in der Schweiz ungenutzt. Was kann ich als Privatperson tun, um effektiv einzusparen?

Bei uns im Bürogebäude haben wir es geschafft, 80 Prozent weniger Strom zu verbrauchen! Unser System schaltet Dank Bewegungsmeldern alle Geräte ab, sobald niemand mehr da ist. Daheim lohnt sich das auch. Natürlich sollte man die Beleuchtung auf LED umstellen. Weitere Tipps: ein Grad kühler leben, weniger baden und nur kurz duschen. Beim Warmwasser gibt es viel Potenzial. Bei vielen Haushalten macht das Heizen des Wassers – etwa mit Elektroboilern – die Hälfte des Stromverbrauchs aus. Wenn man sie ersetzen und eine Wärmepumpe einsetzen will, sollte man das bedarfsgerecht tun. Das heisst: nicht überdimensionieren, sodass täglich unnötig viel Wasser erwärmt wird. Ein wichtiger Punkt ist auch die Beschattung durch Jalousien, damit man keine Klimaanlage braucht. Wenn die Storen an Hitzetagen auch automatisch runterfahren, wenn keiner daheim ist: perfekt.

Sie sprechen von intelligenten Gebäudesteuerungen, die dabei helfen Strom zu sparen. Wie kriege ich meinen Vermieter, meine Vermieterin dazu, solche einzubauen?

Vermieter sind nicht dazu verpflichtet, das Haus smarter zu machen. Aber man kann sich mit den anderen Mieterinnen und Mietern zusammentun und den Antrag an die Vermieter:innen formulieren, das bei der nächsten Sanierung umzusetzen. Bis dann lohnt es sich auch für die Mieterschaft, direkt Einfluss zu nehmen: Es gibt smarte Technologien im Elektroshop, mit denen man etwa per App Beleuchtung und Standby-Geräte einfach steuern kann. Einfach beraten lassen!

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